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Fünfteilige Dokumentarfilm-Serie über den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz im Dezember 2016, bei dem 13 Menschen durch einen Lkw getötet wurden.
Das brutalste islamistische Terror-Attentat auf deutschem Boden wirft bis heute noch Fragen auf: Die Anschläge von Nizza und Paris hätten Vorwarnungen sein können. Und auch der Täter, Anis Amri, war bereits als „Gefährder“ eingestuft worden.
In fünf Kapiteln kreist die aufwendige Doku-Serie in horizontaler Erzählweise um die Tat - von der Vorgeschichte des Anschlags, über dessen Ausführung mit einem gestohlenen Lkw, wie auch um die Ermittlungsfehler nahezu aller Behörden vom Verfassungsschutz bis zu den Kriminalämtern in Berlin.
Zentraler Bestandteil ist die Perspektive der Opfer und Hinterbliebenen, die lange Jahre auf Anteilnahme und Entschädigungen warten mussten. Erstmals erzählen auch Angehörige aus Italien oder Ersthelfer sehr persönlich von ihren ergreifenden Erlebnissen.
Journalisten wie Jörg Diehl, Stefan Aust und Shakuntala Banerjee oder der Berliner Opferanwalt Andreas Schulz und Sven Kurenbach als damaliger Leiter der Abteilung „Islamistisch motivierter Terrorismus/Extremismus“ beim Bundeskriminalamt, liefern Einblicke, die den Fall in neuem Licht erscheinen lassen.
Unter weitgehendem Verzicht auf Reenactment-Szenen zeichnet die Filmemacherin Astrid Schult das Bild einer Verwundbarkeit nach, der die westliche Welt immer wieder neu begegnen muss, gerade auch nach den jüngeren Anschlägen von Magdeburg und Solingen. Gleichzeitig lässt sie uns die Stärke und Solidarität der Betroffenen miterleben, die den kollektiven Schock unserer Gesellschaft individuell verarbeiten mussten.
Die Serie setzt sich aus fünf Kapiteln zusammen:
In Teil eins „Vorzeichen“ berichten Überlebende und die Angehörigen der Opfer, die Vorgeschichten der verhängnisvollen Besuche auf dem Weihnachtsmarkt. Der Vater von Astrid Passin hatte eigentlich ins Theater gewollt. Elisabetta Ragno aus Palermo war zum Shoppen in der Stadt. Der 19. Dezember ist ihr Geburtstag. Der polnische Lkw-Fahrer Lukasz Urban verlässt mit seiner Stahl-Ladung Italien und macht sich auf den Weg nach Berlin. Der Weg des Attentäters Anis Amri wird nachverfolgt. Er kam mit 19 Jahren aus Tunesien nach Lampedusa und wurde in Italien schnell straffällig.
In Deutschland waren im Jahr 2016 450 IS-Anhänger ansässig, die vom BKA als Gefährder eingestuft wurden. Die Sicherheitslage war angespannt, so Konstantin von Notz, Mitglied des Untersuchungsausschusses Breitscheidplatz. Shakuntala Banerjee erinnert sich an ihre Zeit als ZDF-Korrespondentin in Brüssel, als sie im selben Jahr mit Anschlägen in Brüssel und Nizza konfrontiert wurde. Bereits ein Jahr davor waren bei den Anschlägen von Paris im Musikclub Bataclan 90 Menschen ums Leben gekommen.
Teil zwei „Tat“ widmet sich der Todesfahrt, die innerhalb von zehn Sekunden das friedliche Treiben auf dem Weihnachtsmarkt in ein Massaker verwandelt. Anhand des Protokolls von Thomas Beck, Vertreter der Bundesanwaltschaft im Untersuchungsausschuss, wird der zeitliche Ablauf der Lkw-Fahrt rekonstruiert. Der Spiegel-Journalist Jörg Diehl stellt fest, dass Anis Amri über den Nachrichtendienst „Telegram“ - eine Plattform, auf deren verschlüsselte Chats die deutsche Polizei keinen Zugriff hat - Anleitungen vom IS bekam. Die junge Ärztin Shufan Huo beschließt, spontan ihr Labor in der Charité zu verlassen, um auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz eine Bratwurst zu essen. Kurze Zeit später wird sie sich als Ersthelferin um die schwerverletzte Fabrizia di Lorenzo aus Italien kümmern.
Teil drei „Trauma“ stellt die Stille und Reglosigkeit der Verantwortlichen nach der Tat in den Vordergrund, wie auch die Überforderung von Verwaltung und Politik, sowohl im Umgang mit den Opfern als auch bei der Verfolgung des Täters. Ersthelferin Shufan Huo erinnert sich an die Fahrt im Rettungswagen mit Fabrizia di Lorenzo und den Transport in den Schock-Raum der Charité. Die Angehörigen der Opfer werden über den Tod ihrer Familienmitglieder erst spät informiert. Fabrizias Mutter Giovanna, die aus Italien angereist ist, werden Auskünfte verweigert. Anis Amri hat seinen Pass mit seiner Duldungsbescheinigung für Deutschland neben dem Fahrersitz des Lkw hinterlassen. So soll der IS informiert werden, um ihn als Märtyrer zu loben. Überwachungsvideos in einer U-Bahn-Haltestelle zeigen Amri mit erhobenem Zeigefinger. Er wird schließlich am Bahnhof Sesto San Giovanni bei Mailand von der örtlichen Polizei im Zuge einer Personenkontrolle erschossen.
Teil vier „Staat“ fokussiert sich auf das Versagen der Berliner Behörden. Vor allem aber rekapituliert er den Umgang mit den Opfern und ihren Traumata aus der Sicht des zuständigen Psychologen. Erst ein Jahr nach dem Attentat findet eine offizielle Gedenkfeier an der Gedächtniskirche statt, auf der auch Angela Merkel vertreten ist. Zwei Jahre nach der Tat empfängt die damalige Bundeskanzlerin auch Giovanna di Lorenzo, die Mutter der noch in der Tatnacht verstorbenen Fabrizia. Auf ihre vielen Fragen hat sie auch bei diesem Treffen keine Antworten bekommen. Der Trauma-Therapeut Rainer Rothe, der bereits die Opfer des Anschlags von Nizza betreut hatte, erinnert sich, dass die meisten Psychologen, die an die Hinterbliebenen und Opfer vermittelt wurden, keine Trauma-Experten waren. Sieben Monate nach dem Anschlag wird ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, der die Versäumnisse der Polizeibehörden aufarbeiten soll. Laut Sven Kurenbach vom Bundeskriminalamt gab es keine ausreichende Beweislage, um Mittäter des Anschlags zu ermitteln.
Teil fünf „Konsequenzen“ führt zu internationalen Terrorexperten in die USA und fragt nach den Möglichkeiten von Prävention. Auch zeigt er, wie die Angehörigen der Opfer mit Trauma und Verlust umgegangen sind. Astrid Passin, deren Vater bei dem Anschlag ums Leben kam, engagiert sich im Verein „Victims of Terrorism“ und nimmt am Gedenktag der Organisation teil. Petr Cismar, der seine Frau bei dem Anschlag verlor, wirft der Bundesrepublik Staatsversagen vor und will Klage erheben. Die Journalistin Shakuntala Banerjee ordnet die neuen Anschläge von Magdeburg und Solingen 2024, wie auch München 2025 in die allgemeine Gefährdungslage ein und erklärt den Begriff „Salad Bar Terrorism“. Der Herausgeber der „Welt“, Stefan Aust sieht in Anis Amri eine Quelle des amerikanischen Geheimdienstes. Die Militarismus-Forscherin Stephanie Savell von der Brown-University in Rhode Island stellt fest, dass nach 9/11 nur sieben Prozent der amerikanischen Militärschläge gegen islamistischen Terror zu einer Lösung geführt haben, und dass heute mehr terroristische Gruppen existieren, als vor dem Anschlag auf das World Trade Center 2001.
Die Filmemacherin Astrid Schult lebt in Berlin und ist Absolventin der Filmakademie Baden-Württemberg. Für das ZDF hat sie mehrere fiktionale Fernsehspiele realisiert. Für ihre Langzeitdokumentation „Zirkus is nich“ ist sie 2024 mit dem DRK-Medienpreis ausgezeichnet worden. 2020 war sie für die ZDF-Interview-Reihe „FilmFrauen“ für den Grimme-Preis nominiert. Für den Dokumentarfilm „Der innere Krieg“ erhielt sie bereits 2008 eine Grimme-Preis-Nominierung sowie das Eberhard-Fechner-Stipendium des Grimme-Instituts.
Redaktionshinweis: 3sat zeigt „Der Anschlag“ als Erstausstrahlung im Umfeld des zehnjährigen Gedenkens an die IS-Anschläge in Paris im November 2015, bei denen 130 Menschen getötet wurden, allein 90 in der Konzerthalle Bataclan.
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