Interview Jan Böhmermann – „Seriöser Quatsch passiert mit der gleichen Akribie wie Gehirnchirurgie“
Alle Welt behauptet, dass Jan Böhmermann nicht ernst bleiben kann - einschließlich er selber. Warum der 32jährige sein neues NEO Magazin (Sendestart: 31. Oktober, ZDF NEO) sehr ernst nimmt und wie er es aus dem Elend geschafft hat, diskutiert er mit TVinfo.
TVinfo: Warum ist aus dem Journalisten Jan Böhmermann der Satiriker Jan Böhmermann geworden?
Jan Böhmermann: Irgendwann im Leben muss man einfach gucken, wo die Sachen liegen, die man wirklich kann. Und ich kann einfach nicht länger als 10 Minuten eine Sache ernst unkommentiert lassen. Und deswegen war das der kürzeste Weg zum Ziel.
TVinfo: Kann es sein, dass ein Satiriker viel eher die Wahrheit sagen darf als ein Journalist?
Jan Böhmermann: Ja. Und ich nenne mich noch viel lieber Comedian. Denn man kann sich inhaltlich auch einmal vertun und sagen: Freunde, Ihr müsste mich nicht ernst nehmen, ich bin Comedian. Und das können Journalisten nicht. Journalisten müssen immer ernst genommen werden. Vielleicht ab und an eine launige Spitze. Aber es muss immer seriös sein. Beim Comedian ist das ein "good to have", aber kein "must have". Deswegen ist das der bessere Job für mich.
TVinfo: Sie sagen, Sie machen „seriösen Quatsch“? Was ist das?
Jan Böhmermann: Quatsch, der albern ist. Quatsch Quatsch. Aber wenn dabei ab und zu etwas abfällt, worüber man nachdenken muss, ist das auch nicht schlecht. Und vor allem ist seriöser Quatsch ein richtiger Job. Das passiert mit der gleichen Akribie, wie ein Gehirnchirurg geplatzte Blutgefäße entfernt. Mein Team und ich sind ehrgeizig und haben Spaß daran, gute und neue Sachen zu machen.
Jan Böhmermann: Eher, um raus aus dem Elend zu kommen. Ich komme aus sehr, sehr einfachen Verhältnissen. Wir hatten früher wirklich gar nichts. Das einzige, was wir hatten, war der Humor. Und selbst der gehörte zu 80% der Bank. Da war das Studium als Mittel gut, um sozial aufzusteigen. Um Leute kennen zu lernen aus dem Rechtsanwaltsmilieu. Leute, deren Eltern Ärzte waren. Leute aus einer größeren Stadt. Ich komme aus Bremen-Nord, was auch nicht gerade förderlich ist, um beruflich sehr erfolgreich zu sein. Das Studium war die Möglichkeit herauszukommen.
TVinfo: Ist es seit Ihrem Studium schwerer oder leichter für Jugendliche aus einfachen Verhältnissen geworden?
Jan Böhmermann: Es ist leichter geworden. Spätestens seit dem Auszug der FDP aus dem Bundestag.
TVinfo: Was können Sie anderen empfehlen, die auch aus einfachen Verhältnissen kommen?
Jan Böhmermann: Es gilt der alte Satz. Talent ist nur 10%, die restlichen 90% sind Penetranz und Schmerzfreiheit. Und eine gute Ausbildung. Und es ernst meinen. Auch wenn man keine ernsten Sachen macht, sollte man sie ernst meinen.
TVinfo: Haben Sie Vorbilder gehabt?
Jan Böhmermann: Mein einziges Vorbild ist Morrissey. Und zwar in allen Belangen. Sowohl privat als auch beruflich. Alles, was Morrissey macht, ist - das würde ich sofort unterschreiben - richtig.
Trailer zur Sendung NEO MAGAZIN mit Jan Böhmermann
TVinfo: Ist bei Ihnen mal etwas nicht richtig gelaufen?
Jan Böhmermann: Jedes zweite Ding geht in die Hose, jeder zweite Witz ist nicht richtig gut. Es gibt andauernd Dinge, die schiefgehen. Die Schmerzfreiheit zu besitzen, mit dem Scheitern umzugehen, ist halt auch essentiell, um nicht irgendwann Alkoholiker zu werden oder - noch schlimmer - von der Brücke zu springen. Es ist ein Scheiß-Job - auch.
TVinfo: Sie gehören zur aktuellen Nachwuchsriege im Fernsehen, die sich auch über Sendungs- und Sendergrenzen hinweg extrem gut kennt und unterstützt. Was verbindet Sie?
Jan Böhmermann: Wir haben viel Fernsehen geguckt. Und gucken auch viel internationale Unterhaltung. Was so Leute wie Olli Schulz oder Klaas und Joko und mich auch verbindet, ist die Bandbreite an Möglichkeiten, das Medium Fernsehen zu bespielen. Sie ist größer, weil wir mehr gesehen haben und wissen, dass mehr geht. Auch die Liebe zum Medium ist eine ganz andere. Weil wir nicht nur Inhaltproduzenten sind. Sondern wir wissen, dass das Medium neben dem reinen Wort ganz viele tolle andere Möglichkeiten hat. Wir denken viel filmischer und sind sehr viel mehr im Medium drin als die Fernsehmacher vor 15 Jahren. Ich bin nicht nur Moderator, sondern alles, was Sie sehen, gehört dazu. Von der Anzahl der Plätze, wie die Tribüne aussieht, wo die Lampe hängt und wie die Farben sind. Das ist alles Teil des Jobs. Das mache ich nicht alleine, sondern das macht man im Team natürlich. Aber es ist auch eine Erkenntnis, dass man etwas im Fernsehen nicht alleine machen kann, sondern dass man ein Team braucht. Und das Team muss ich gut kennen. Das ist wie bei einer Band. Und das hier ist eine riesige Band mit 40 Leuten.
TVinfo: Verbindet Sie auch, dass Sie alle Web2.0 abhängig sind?
Jan Böhmermann: Nein, wir sind nicht davon abhängig, wir sind damit aufgewachsen. Wir sind nicht auf die Welt gekommen und wurden dann heroinsüchtig gemacht, sondern wir waren bereits im Mutterleib voll drauf. Internet und Technik sind Tools, kein Lebensinhalt. Ich habe nie Probleme gehabt, die Lautstärke meines Handys so einzustellen, dass es niemanden stört. Es sind eher die Leute ab 50, die im Zug den Klingelton so laut drehen, dass die anderen Leute die Augen verdrehen. Wir sind damit aufgewachsen. Deswegen ist das keine Abhängigkeit, sondern es gehört zum Leben.
TVinfo: Eher 10 Mio. Videoviews auf YouTube oder 10 Mio. Zuschauer am Samstagabend. Was würden Sie nehmen?
Jan Böhmermann: Natürlich den Samstagabend. 10 Mio. Zuschauer. Zum einen, weil es bezahlt ist. Internet ist nicht refinanziert. Und wenn Du nicht gerade Y-Titty bist und die KölnArena mit 14jährigen vollmachst, lohnt sich das nicht. Und zum anderen muss man realistisch sehen, dass Du, wenn Du Unterhaltung machen möchtest, die den Leuten gefällt, die auch internationale Produkte gucken, dann brauchst Du ein Budget und ein Team. Da reichte es nicht, sich hinzusetzen und sich kultig zu finden oder kultig finden zu lassen oder auf die Kommentare von Nutzern zu antworten. Ich wähle also das arrivierte Medium Fernsehen, aber nur, wenn es eine ordentliche Mediathek gibt - beim ZDF bin ich also ganz gut aufgehoben.
TVinfo: A propos ernst nehmen. Sie sind Schöffe in Köln. Ist das auch ein ernstes Anliegen?
Jan Böhmermann: Ja. Aber es gibt nicht so viele Sachen, bei denen man wirklich richtig ernst bleiben muss. Es gibt ernste Momente und es gibt ernste Anliegen. Aber es ist so meine Erfahrung: Es gibt nicht so viele Sachen, bei denen man wirklich richtig ernst bleiben muss. Schöffe zu sein, ist zwar nicht unterhaltsam, aber auch nicht so ernst, wie es klingt.
TVinfo: Zum Schluss drei Vervollständigungssätze. „Der Unterschied zwischen dem Tweef Boris Becker gegen Oliver Pocher und meinem Tweef mit Kai Dieckmann ist...“