Interview Jeannine Michaelsen – „Der große Vorteil von Fernsehen ist, dass es von Menschen gemacht wird.“
Ab Oktober steht Jeannine Michaelsen mit ihrem ersten eigenen Soloprogramm auf der Bühne. Es heißt: „Geh zum Fernsehen!“ - haben sie gesagt... Als Moderatorin von Joko und Klaas, als furchtlose Kandidatin in Prominenten-Spielshows und als beliebte Gesprächspartnerin in Talkshows hat sie genug Material gesammelt, um ihre Gäste einen Abend lang lustig und kritisch zu unterhalten.
TVinfo: Das letzte TVinfo-Interview haben wir vor zehn Jahren geführt, seitdem ist viel passiert und du hast jetzt ein eigenes Bühnenprogramm. Wie hat sich das entwickelt?
Jeannine Michaelsen: Ursprünglich komme ich ja von der Bühne. Ich habe Musical studiert. Und die Bühne ist ein Ort, an dem ich mich sehr wohl fühle. Ich stehe sehr gerne auf der Bühne. Das macht mir Spaß. Ich hatte einfach wirklich Lust auf etwas Eigenes, was nur mir gehört, was ich nicht teilen muss und wo mir keiner rein redet.
TVinfo: Worum geht es in dem Bühnenprogramm?
Jeannine Michaelsen: „“Geh zum Fernsehen!“ - haben sie gesagt..." heißt es. Das habe ich früher oft gehört. Es könnte auch der Titel meiner Biografie sein. Es ist ein Querschnitt durch meine Karriere, meine Erfahrungen in diesem Fernsehmetier, aber auch einfach mein ganz eigenes Erleben. Ich als Mensch, als Frau, als Mutter, als was auch immer. Natürlich gespickt mit dem, was in meiner Welt so passiert. Das ist nun mal die Fernsehwelt. Zumindest ist in den letzten zehn Jahren genug Erzählenswertes passiert.
TVinfo: Was können deine Gäste davon erwarten, wie du dich mit dem Fernsehen auseinandersetzt?
Jeannine Michaelsen: Lustig halt. Ich möchte niemanden belehren. Das wollte ich noch nie. Ich glaube an Leichtigkeit. Das liegt aber auch daran, dass ich mir die Themen aussuchen darf, mit denen ich arbeite. Es gibt auch Themenbereiche, da gehört Leichtigkeit einfach nicht hin. In meinem Fall ist es so, dass ich mit Themen jonglieren kann. Zum Beispiel wie Frauen mit Frauen umgehen. Aus der eigenen Position heraus mit einem selbstironischen Blick auf sich selbst, kann man mit viel Leichtigkeit auch ganz elementare Dinge mal kurz in die Hand nehmen, ohne dass man sofort den moralischen Zeigefinger rausholt. Deshalb ist es durchaus eine kritische Auseinandersetzung mit den Medien, mit mir, mit den gesellschaftspolitischen Umgangsformen zwischen Menschen insgesamt. Trotzdem ist es kein Lehrstück, sondern ein lustiger Abend. Es ist auch wirklich viel Quatsch dabei. Und wenn man möchte, kann man hoffentlich etwas zum Nachdenken mit nach Hause nehmen.
TVinfo: Hast du es mit deinem eigenen Bühnenprogramm als Frau leichter oder schwerer?
Jeannine Michaelsen: Ich erlebe in den Mix Shows einen starken Männerüberhang. Fast immer bin ich die einzige Frau. Man hört oft: „Wo sind denn die Frauen? Es gibt ja so wenig lustige Frauen.“ Es fallen immer die gleichen drei Namen und dann hört es irgendwie auf. Ich glaube, Frauen stehen besser da denn je. Aber immer noch nicht annähernd da, wo Männer stehen.
TVinfo: Wächst sich das raus?
Jeannine Michaelsen: Es kommen Männer nach, es kommen auch viele Frauen nach. Die Frauen brauchen einfach ein großes Netzwerk, in dem sie agieren. Ich glaube, die Männer, die nachwachsen, sind auch andere Männer als die Generation davor. Wir können jetzt gar nicht alle unter einen Generalverdacht stellen. Es gibt wahnsinnig lustige Menschen, die Comedy machen. Da ist mir im Endeffekt das Geschlecht in dem Moment wurscht. Da geht es eher darum, dass jeder den gleichen Zugang hat. Es tut sich total viel, weil es viel mehr erfolgreiche Frauen gibt, die darauf achten, dass auch andere Frauen nachkommen. So wie Männer das auch immer miteinander gemacht haben. Wir Frauen müssen aus unseren Köpfen rauskriegen, dass wir uns gegenseitig gefährden, weil wir jetzt die Regeln mitgehalten können. Das ist neu. Die Zukunft sieht wesentlich besser aus als die Vergangenheit.
TVinfo: Inwiefern?
Jeannine Michaelsen: In den 50er Jahren waren Frauen zu Hause und haben Kinder großgezogen. Und die Männer sind jeden Morgen in den Betrieb gefahren und haben gearbeitet. Die Frau hatte die Kinder oder den Haushalt oder den Haushalt und die Schwangerschaft oder was auch immer. Der einzige Moment, in dem sie rausgegangen ist, war zum Einkaufen. Oder mal vielleicht zum Kaffeeklatsch. Oder es gab mal ein Essen, wo die ganzen anderen Männer mit ihren Frauen auch dazu gekommen sind. Die Frauen waren aber immer für sich alleine. Diese Frau war abhängig von ihrem Mann, weil sie nicht arbeiten durfte. Die einzige Gefahr für diese Frau war eine andere Frau. Die jüngere Frau im Büro, die ihr den Mann ausspannt. Wenn der Mann weg ist, hat sie nichts mehr. Darauf basiert vielleicht die Angst, dass die andere Frau uns etwas wegnimmt.
TVinfo: Was bedeutet das für das Fernsehen?
Jeannine Michaelsen: Wir Frauen kommen immer alleine ans Set und treffen uns nicht untereinander. Statt zu sagen: Wenn wir uns jetzt mal alle zusammensetzen, dann können wir auch Produktionsfirmen gründen, wir können Formate entwickeln, wir können Shows starten, wir können Mix Shows machen, wir können auf Tour gehen, wir können alles machen. Und wenn wir uns dann noch die anderen Frauen suchen und auch Seilschaften bilden wie die Männer, dann kommen wir vielleicht irgendwann zu dem Schluss, dass es ganz egal ist, mit wem man arbeitet, weil man sich dann einfach nur noch die Besten aussucht.
TVinfo: Wer sucht denn in Zukunft die Besten aus? Noch der Mensch oder schon der Social-Media-Algorithmus, der es im Zweifel gelernt hat, sexistisch oder rassistisch zu sein?
Jeannine Michaelsen: Der große Vorteil von Fernsehen ist, dass es von Menschen gemacht wird. Offline Lebenswelten existieren ja noch. Jetzt schon den Kampf aufzugeben, weil der Algorithmus den gegen mich führt, das sehe ich irgendwie nicht ein. Ich habe das Gefühl, es gibt so oft Phänomene, die zeigen, dass Gegenentwürfe zu dem Idealbild so gut funktionieren, weil Menschen genau das suchen. Weil es Leute gibt, die genau das brauchen.
TVinfo: Und wenn der Algorithmus das nicht will?
Jeannine Michaelsen: Algorithmen werden ja mit Absicht programmiert. Auch dass am besten blonde, weiße Frauen, Mitte 20, große Brüste, wenig an, am besten klicken. Aber du merkst: Es gibt eine Gegenbewegung. Und auch die bekommt auf einmal Aufmerksamkeit. Auf einmal ist diese ganze Body Positivity Thematik riesengroß. Ich sehe nicht ein, jetzt schon zu sagen, wir haben eh keine Chance, weil wir das Ding so dumm trainiert haben.
TVinfo: Und wenn Elon Musk das nicht will?
Jeannine Michaelsen: Da sind wir wieder bei der Tourgeschichte. Ich glaube, was es total dringend braucht, sind Begegnungen. Echte Begegnungen zwischen Menschen. Menschen, die vor die Tür gehen, ihr Telefon aus der Hand legen und die dahin gehen, wo was passiert und das mit sich machen lassen. Irgendwohin rauszugehen und was zu erleben, was nicht durch einen Bildschirm vor mir gefiltert ist. Dieses Rausgehen ist am Ende das größte Instrument, was wir haben. Das ist das Größte, was wir diesem vom Algorithmus getriebenen digitalen Berieselungsleben entgegensetzen können.
TVinfo: Gibt es zusätzlich zum neuen Bühnenprogramm weitere Projekte?
Jeannine Michaelsen: Es kommt eine neue Show mit Geschwisterpaaren! Jede Folge ist wie eine andere Show, weil diese Geschwisterpaare und ihre Interaktionen so unterschiedlich sind. Da kennt man einen schon wirklich viele Jahre in seiner sehr souveränen Showmasterrolle. Und dann ist er auf einmal mit seiner Schwester da. Das hat eine Zauberhaftigkeit, von der ich gar nicht wüsste, wie man sie anders herstellen sollte. Wir haben sehr viele interessante Kinderfotos gesehen. Das ist eine ganz tolle Show, die hat riesig viel Spaß gemacht. Sie läuft im Spätsommer auf Pro7.
TVinfo: Du bist eine Frau des frei empfangbaren Fernsehens. Einige deiner Comedy-Kolleg:innen treten auch im Fernsehkanal eines großen Shopping-Anbieter auf. Wäre das auch etwas für dich?
Jeannine Michaelsen: Kommt darauf an, wofür. Wenn du ein Herzensprojekt hast, also irgendwas, was dir wirklich wichtig ist, dann gehst du damit dahin, wo du das Gefühl hast, da wird es verstanden und da wird auch die Ressource zur Verfügung gestellt, die es braucht, um das ordentlich umzusetzen.
TVinfo: Ist Comedy noch glaubwürdig?
Jeannine Michaelsen: Es geht darum, dass es nicht bigott wird. Diese Hybris, sich hinzustellen und zu predigen, worauf man alles achten soll und was man alles gut machen soll und wo man irgendwie einkaufen und nicht einkaufen soll und auf der anderen Seite aber hinzugehen und nichts darauf zu geben, wenn man selbst davon profitieren kann.
TVinfo: Was und wie sollte es sich denn ändern?
Jeannine Michaelsen: Das ist ein ganz schmales Brett. Die Eigenverantwortung ist riesengroß. Gleichzeitig finde ich, müsste man die Pflicht zur Eigenverantwortung ein kleines bisschen eindämmen. Du kannst die Regeln gesetzlich ändern. Du kannst nicht von den Leuten erwarten, dass sie das alleine machen. Solange es einen Flug für 30 Euro nach Mallorca gibt, fliegst du für 30 Euro nach Mallorca. Natürlich. Warum denn auch nicht? Dann mach halt, dass es nicht so billig ist. Ich finde, das ist nicht die Verantwortung, die man auf die Menschen abwälzen muss.
TVinfo: Wo engagierst du dich persönlich?
Jeannine Michaelsen: Ich unterstütze seit Jahren Viva con Agua. Wir haben jetzt einen Song aufgenommen für das Alpagua. Das ist eine Kampagne von Viva con Agua. Das Alpagua verpackt gesellschafts - und umweltpolitische Themen kind- und jugendgerecht. Es macht Songs mit verschiedenen Künstlern und Künstlerinnen. Und ich habe einen gemacht zu Geschlechteridentität. Also zu sagen, find halt raus, was du sein willst.
TVinfo: Gibt es etwas, wovon es mehr oder weniger im Fernsehen geben sollte?
Jeannine Michaelsen: Es bräuchte weniger Grenzüberschreitungen. Im deutschen Fernsehen und im Internet genauso. Man sollte diesen ganzen Seelenstriptease und diese schreckliche Zurschaustellung von Menschen, die überhaupt gar nicht verstehen, was mit ihnen in dem Moment passiert, weil sie keine Fernsehprofis sind, einfach eindampfen. Aber es funktioniert total gut und finanziert so den restlichen Kram.
TVinfo: Was wäre die Alternative?
Jeannine Michaelsen: Es gibt richtig gut gemachtes Trash TV. Über sehr privilegierte, ultrareiche Frauen beispielsweise. Wenn du zeigst, wie sie sich gegenseitig feiern, fallen die weich. Da passiert nichts. Im Zweifel machen sie eine Karriere draus. Es ist natürlich alles auch ein bisschen obszön, dieser Reichtum. Aber der wird irgendwie so schön egalisiert. Ich kann das gucken und in meinem Kopf geht ein Ventil auf und die ganze heiße Luft geht raus.
TVinfo: Jeannine Michaelsen, vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Markus Pins am 10.03.2023 in Düsseldorf.
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