TVinfo: Seit Juni gehörst du zum Ensemble der Anstalt. Wie hast du das männliche Duopol aus Claus von Wagner und Max Uthoff durchbrochen?
Maike Kühl: Ich habe fünf Jahre lang unauffällig daran gearbeitet, mich unentbehrlich zu machen. 2019 war ich zum ersten Mal zu Gast bei der Anstalt, die Zusammenarbeit wurde von Jahr zu Jahr regelmäßiger und intensiver. Im Sommer letzten Jahres habe ich dann zum ersten Mal Claus von Wagner vertreten, sowohl auf der Bühne, als auch als Autorin. Das hat für beide Seiten prima funktioniert. Also rief mich irgendwann Claus an, der sich ja mehr auf sein Soloprogramm konzentrieren wollte und deswegen vorerst ein bisschen kürzer treten wird in der Anstalt. Und da helfe ich natürlich gerne!
TVinfo: Von Düsseldorf nach München ist es eine lange Anreise…
Maike Kühl: Oh ja. Ich verbringe viel Zeit in der Deutschen Bahn, auf der ewigen Suche nach gutem WLAN. Aber ich freue mich über die Arbeit in der alten Heimat. Mein Weg vom Hotel in die Schreibstube führt immer an meinem alten Gymnasium vorbei, in dem ich Ewigkeiten nicht mehr war. Nach Jahren habe ich mir neulich mal die Zeit genommen, wieder in den Schulhof zu gehen und mich zu erinnern. Dem deutschen Bildungssystem sei Dank sah auch alles noch genauso aus wie früher!
TVinfo: Gibt es noch weitere männliche Burgen, die du stürmen willst?
Maike Kühl: Na ja, in Kabarett und Satire sind nach wie vor deutlich mehr Männer als Frauen zu sehen. Es gibt also noch einige Burgen zu stürmen. Aber das muss ich ja nicht alleine tun. Das bin ich aber seit 18 Jahren gewohnt, also seit ich im Kom(m)ödchen bin. Da sind wir drei Männer auf der Bühne und eine Frau.
TVinfo: Welche Akzente oder Themen willst du in der Anstalt setzen?
Maike Kühl: Natürlich schon feministische Themen. Wobei die Kollegen da auch immer sehr gute Arbeit geleistet haben.
TVinfo: Wo würdest du die Anstalt im politischen Spektrum unseres Landes verorten?
Maike Kühl: Ich sag mal so: Wer öffentlich ein menschenfeindliches, sexistisches oder völlig rückwärtsgewandtes Weltbild vertritt, hat bei uns schon mal sehr gute Chancen, erwähnt zu werden. Manchmal reicht es auch, sich einfach sehr, sehr dämlich anzustellen. Da sind wir dann, was die Partei angeht, gar nicht so wählerisch.
TVinfo: Entspricht das dem Senderwunsch?
Maike Kühl: Wir haben wirklich freie Hand. Also das kann ich nur immer wieder betonen. Wir bekommen überhaupt keine Vorgaben von oben und wir bekommen da sehr, sehr viel Vertrauen entgegengebracht. Es gibt natürlich Themen, da wissen wir, da wird ein bisschen gezittert, wie wir das lösen.
TVinfo: Wann kommt der nächste richtig große Skandal mit gerichtlicher Auseinandersetzung bei der Anstalt?
Maike Kühl: Da bin ich selbst gespannt!
TVinfo: Die Anstalt hat eine lange Geschichte. Von den Vorgängerformaten mit Dieter Hildebrandt bis heute. Wie hat sich die Anstalt in den letzten Jahren verändert?
Maike Kühl: So wie sich unsere Gesellschaft, unsere Sprache und unsere Themen verändert haben, hat sich auch die Anstalt verändert. Sogar in der Besetzung!
TVinfo: Wie entwickeln sich die Einschaltquoten bei der Anstalt?
Maike Kühl: Die sind glücklicherweise relativ stabil.
TVinfo: Schaut ihr viel auf die Einschaltquoten?
Maike Kühl: Viel lieber schaue ich, ob die Sendung gut war oder nicht.
TVinfo: Wie ist das Verhältnis von linear geschauter Anstalt zur Anstalt in der Mediathek?
Maike Kühl: Wir werden größtenteils noch linear geguckt.
TVinfo: Das ZDF sieht sich manchmal einem Seniorenvorwurf ausgesetzt. Liegt die Anstalt im Senderschnitt? Oder erreicht sie ein jüngeres Publikum?
Maike Kühl: Ich bin immer wieder positiv überrascht, wie viele junge Menschen bei uns im Studiopublikum sitzen. Insgesamt erzielen wir bei den Zuschauer*innen im Alter zwischen 14 und 49, also der für das ZDF wichtigen Gruppe, ganz gute Ergebnisse.
TVinfo: Wie viel Berührungsängste habt ihr zu Comedy?
Maike Kühl: Keine. Wir haben regelmäßig Comedians bei uns in der Sendung, Die Grenzen zwischen Kabarett und Comedy verschwimmen ohnehin immer mehr, was ich persönlich begrüße. Die Comedyszene ist zum Beispiel wesentlich diverser. Da ist im Kabarett noch ordentlich Luft nach oben!
TVinfo: Du bist ja nicht nur jetzt bei der Anstalt im Ensemble, sondern nach wie vor auch im Kom(m)ödchen auf der Bühne. Wie unterscheiden sich die beiden Kunstformen?
Maike Kühl: Sie unterscheiden sich zunächst sehr in der Zeit, die man geschenkt bekommt, etwas zu entwickeln und dann auch zu spielen. Im Kom(m)ödchen wird ein Stück erst mal wochenlang geschrieben, dann wird es wochenlang geprobt und dann wird es monatelang oder jahrelang gespielt. Bei der Anstalt haben wir meistens einen Monat Vorbereitungszeit inklusive Recherche und Schreiben, was fürs Fernsehen schon sehr viel Zeit ist. Geprobt wird nur drei Tage, dann aufgezeichnet und dann ist es weg. Also es ist natürlich in der Mediathek, aber für uns ist es weg. Das sind jetzt so die äußeren Bedingungen, die sich sehr unterscheiden. Ansonsten spielen wir in der Anstalt zum Glück auch vor Livepublikum. Das heißt, diesen direkten Kontakt zu den Zuschauer*innen habe ich auch hier. Und das direkte Feedback vom Publikum auch. Wofür ich sehr dankbar bin, weil das schon am Schluss noch mal so den letzten Schub gibt und das einfach großen Spaß macht. Das direkte Feedback zu bekommen, um schon, bevor man es auf dem Bildschirm sieht, zu spüren, welche Gags funktioniert haben und welche nicht.
TVinfo: Was magst du lieber? Anderer Leute Texte vortragen oder selber schreiben?
Maike Kühl: Ich war es jahrelang gewohnt, Fremdtexte zu sprechen. Zunächst als Schauspielerin und später im Kom(m)ödchen. Und eigentlich habe ich erst durch die Anstalt begonnen, zu schreiben. Ich wollte zu meiner zweiten Sendung gerne mit einem Solo kommen und hatte unseren Kom(m)ödchen Autor Dietmar Jacobs gebeten, für mich zu schreiben. Dem kam was dazwischen und so musste ich selber ran. Zu meiner eigenen Überraschung funktionierte das ziemlich gut und von da an habe ich zu jeder Sendung mein eigenes Solo mitgebracht. Dass ich nun die Möglichkeit habe, ganze Sendungen mitzuschreiben, ist großartig!
TVinfo: Wann dürfen wir dann mit deinem ersten eigenen Solo Bühnenprogramm
rechnen?
Maike Kühl: Was mich bisher daran hindert, ist vor allem die Tatsache, dass ich so wahnsinnig gerne mit anderen Menschen auf der Bühne stehe. Aber vielleicht sollte ich da nochmal das Gespräch mit mir selbst suchen, um zu gucken, ob wir nicht doch auch allein klarkommen.
TVinfo: Wie hältst du es mit den sozialen Medien?
Maike Kühl: Da bin ich relativ zurückhaltend bisher. Also was Privates angeht, sowieso. Mir fehlt bisher auch die Zeit und Lust, mich intensiv damit zu beschäftigen. Wenn man das richtig professionell betreibt, muss man da doch einige Stündchen investieren. Im Moment habe ich dafür tatsächlich keine Zeit. Mit Kom(m)ödchen, Anstalt, extra 3 und Familie.
TVinfo: Ist die Anstalt mit ihrem langen Erzählhorizont so etwas wie der Gegenentwurf zur Aufmerksamkeitsspanne der TikTok-Gehirne?
Maike Kühl: Vielleicht ja. Wir hatten neulich Maxi Gstettenbauer als Gast bei uns. Der hatte tatsächlich in seinem Solo im Nebenbild knetbaren kinetischen Sand, um das Phänomen der kurzen Aufmerksamkeitsspanne zu verdeutlichen. Das finde ich bei TikTok auch unglaublich. Es ist in der Anstalt ein großer Luxus, dass wir die Zeit bekommen, uns einem bestimmten Thema so lange zu widmen. In der Vorbereitung und dann auch in der Sendezeit.
TVinfo: Ist diese lange Zeit wirklich nötig?
Maike Kühl: Ich glaube, so wie wir es umsetzen, braucht es diese Zeit. Weil wir den Zuschauer*innen möglichst viele Informationen geben und Zusammenhänge zeigen möchten, die sie bis dahin vielleicht noch nicht auf dem Schirm hatten. Und das möglichst unterhaltsam. Dazu kommt, dass wir jedes Mal ein ganzes Theaterstück schreiben, das natürlich auch seine Zeit braucht. In der Vorbereitung und in der Sendezeit.
TVinfo: Ihr habt also ein Informationsvermittlungsbedürfnis?
Maike Kühl: Wir betrachten ein Thema von allen Seiten und kommen so an Informationen, die wir vorher oft auch noch nicht hatten. Und dann freuen wir uns natürlich darauf, davon zu berichten. Wir betreiben aber keine Primärrecherche. Wir greifen auf Informationen zurück, die wir von Journalist*innen bekommen und von den jeweiligen Expert*innen. Das heißt, wir stellen alle Informationen zusammen, bringen sie in einen Kontext und erzählen damit eine Geschichte.
TVinfo: Braucht es eine Sendung im Nachtprogramm des ZDF, damit die Leute sehen, wie es wirklich läuft?
Maike Kühl: Die Informationen sind ja da. Die Frage ist, welche Informationen man sich als Zuschauer rausgreift und welcher Informationsquellen man sich bedient. Und natürlich kann man Informationen leichter vermitteln, wenn man es spielerisch und mit Humor angeht. Denn Humor macht die Menschen offener für einen Perspektivwechsel.
TVinfo: Zum Abschluss drei assoziative TVinfo-Vervollständigungssätze: Das Verhältnis von Bayern zum Rheinland ist …
Maike Kühl: … mir egal. Ich kann mit beiden.
TVinfo: Einer Fee, die mir drei Wünsche anbietet ...
Maike Kühl: … sage ich: „Hier kommt der Deal: Ich verzichte auf meine drei Wünsche und du klingelst dafür nie bei Björn Höcke.“
TVinfo: In diesem Interview hat mir nicht die Frage gefehlt, …
Maike Kühl: … warum es so wenig lustige Frauen gibt.
TVinfo: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Markus Pins am 08.10.2024 in Düsseldorf.
Fotos: Christian Kehls