TVinfo: Sie kokettieren gelegentlich mit Ihrem Status einer „zertifizierten Twittertussi“. Warum?
Jeannine Michaelsen: Weil es im Nachhinein ein lustiger Stempel ist. Es ist ja so schön einfach, Menschen in eine Schublade einzuordnen, damit man weiß, was die so sollen. Und wenn man sich ernsthaft überlegt, dass es einen Menschen gibt, dessen Aufgabe es ist, dieses komplexe Kommunikationssytem Twitter zu erklären, dann finde ich das schon wieder so lustig, dass man diese Twittertussi auch ein bisschen vor sich hertragen kann.
TVinfo: Wer mit Twitter umgehen kann, macht ja einen cleveren Eindruck. Gilt jetzt „Brain sells“ statt „Sex sells“?
Jeannine Michaelsen: Das wäre grundsätzlich sehr erstrebenswert. Und zwar bei Männern und bei Frauen. Wobei ich das Gefühl habe, dass bei Männern noch entspannt häufiger auf den Verkaufsfaktor Sex verzichtet wird als bei Frauen. Schön ist natürlich, wenn beides zusammenkommt. Wenn man jemanden hat, der ein gewisses Sex Appeal ausstrahlt, eben weil er irgendwie smart ist. Es geht darum, dass es Menschen gibt, die attraktiv werden, weil sie smart sind. Ich glaube, einfach nur hübsch zu sein, verspielt sich relativ schnell. Und einfach nur klug zu sein, hilft auch nicht weiter.
TVinfo: Es gibt Gerüchte, dass Frauen wie Sie, Frauen aus der Generation Y, die letzte Bundestagswahl mitentschieden haben. Warum hatten manche Parteien damit so ihre Schwierigkeiten?
Jeannine Michaelsen: Wenn ich mir einmal anmaße, die Frauen aus der Generation Y ein bisschen zu interpretieren, dann würde ich sagen, was für uns als gerne berufstätige Frauen - eventuell auch mit Familie - passiert, findet manchmal auf einem anderen Planeten statt als das, was manche Parteien so umtreibt.
TVinfo: Wie können die Parteien die Frauen aus der Generation Y besser erreichen?
Jeannine Michaelsen: Muss man nicht alle aus dieser Generation erreichen? Ich denke Ehrlichkeit gegenüber den Y-Menschen wär mal ein ganz guter Anfang.
TVinfo: Welchen Einfluss hat Social Media Einfluss auf die Bundestagswahl gehabt?
Jeannine Michaelsen: Man kann Social Media ausschließlich selbstreferentiell, medientechnisch oder nur zum Spaß betreiben. Es gibt aber auch beispielsweise Politiker, bei denen man das Gefühl hat, man bekommt durch Social Media einen anderen Einblick. Natürlich reicht das nicht zur Meinungsbildung. Aber wenn man sich die Führungsleute vor einer Wahl auf seine Timeline zieht, dann bekommst du ein Bild, das dich auf die ein oder andere Sache, die für dich interessant, genauer hingucken lässt. Und auf diese ganzen Missstände, die früher vielleicht unbemerkt geblieben sind. Die dann vielleicht im Europaparlament behandelt werden und die zu uns herüberschwappen, weil jemand einen Artikel postet. Dann kann man sich auch anschauen, welche Partei in der großen Trinkwasserdebatte wofür gestimmt hat. Welche Partei ist dafür, dass Trinkwasser privatisiert wird? Auch Plattformen wie Wikileaks beeinflussen politische Entscheidungen und ermöglichen Menschen einen Wissenstand, den sie ohne soziale Medien und Netzwerke nie hätten erreichen können.
TVinfo: Jedes Medium hat ja seine eigenen Dynamiken. Und Twitter begünstigt sicherlich den digitalen Heckenschützen, der mit Sentenzen in 140 Zeichen um sich schießt. Sorgt damit nicht auch Twitter dafür, dass die vermeintlichen Skandale eine riesige Bedeutung bekommen und große, wichtige Themen untergehen?
Jeannine Michaelsen: Ja, das ist ein altes Phänomen, das durch die sozialen Netze verstärkt wird. Es liegt leider in der Natur des Menschen, dass es Spaß macht, auf jemanden einzuhauen, der einen Fehler macht. Ich weiß, wie das ist. Das macht auch nicht immer Spaß. Es gibt halt viele Applaussucher. Aber ich lese auch jeden Tag sehr viele sehr kluge Sachen auf Twitter - von sehr informativ bis sehr lustig.
TVinfo: Gerade läuft erstmalig eine Parteimitgliederbefragung zur Großen Koalition. Das ist ja schon der korrespondierende Hashtag #groko tendenziös. Wer als erster einen Hashtag etabliert hat, prägt damit schon die Agenda. Hat damit die technische Eigendynamik von Twitter inhaltliche Auswirkungen darauf, wie die Parteimitglieder abstimmen werden?
Jeannine Michaelsen: Bestimmt lässt sich der ein oder andere so beeinflussen. Meinungsbildner sind sicherlich jetzt leichter hörbar und lesbar. Aber bei der Abstimmung schwingt auch bestimmt sehr viel Nicht-Internet mit. Und kein Medium ist gänzlich neutral.
TVinfo: Wenn man über Social Media redet, dann redet man eigentlich über Facebook und Twitter. Also zwei private Unternehmen, die durch filigrane Umsortierungen der Timeline großen Einfluss ausüben können. Facebook sortiert die Meldungen der persönlichen Freunde beispielsweise nicht chronologisch, sondern nach Relevanzkriterien, die Facebook für angemessen hält. Ist es nicht gefährlich, wenn Twitter und Facebook durch leichte Änderungen ihres Darstelllungsalgorithmus' die Wahrnehmung der politischen Arena verschieben können?
Jeannine Michaelsen: Es gibt ja auch noch Google - dem man das Gleiche vorwerfen kann - und viele andere Distributionsmechanismen und Anbieter von Inhalten, die es schaffen, Menschen zu kontaktieren. Wichtig ist, dass man als User über diese Situation aufgeklärt ist und über die Alternativen weiß, dass es sie gibt. Es gibt andere Suchmaschinen und andere Social Media Bereiche, in denen ich mich aufhalten kann. Wenn ich Facebook und Twitter benutze, dann muss ich mir im Klaren darüber sein, was da stattfindet, und dass das, was da stattfindet, kein unabhängiges Bild der Situation ist. Dann muss ich mir meine unabhängigen Medien suchen. Aber wenn ich die Bild-Zeitung lese, dann weiß ich auch, dass ich kein unabhängiges Medium lese. Dann muss ich mir, wenn ich mir einen Überblick verschaffen will, beispielsweise auch noch die Süddeutsche, die ZEIT und den Spiegel dazu holen. Subjektiv ist alles. Alles kommt von irgendjemandem. Beim Internet muss man das vielleicht noch etwas präsenter machen. Auch Twitter ist nicht unabhängig. Und Suchvorschläge lassen sich manipulieren.
TVinfo:Ranga Yogeshwar fordert eine unabhängige europäische Suchmaschine...
Jeannine Michaelsen: Das finde ich gut.
TVinfo: Sie moderieren demnächst die Millionärswahl, bei der es einen demokratisch gewählten Millionär geben soll. Können da auch politisch Engagierte gewinnen?
Jeannine Michaelsen: Das Land wählt seinen Millionär selbst. Jedes Land bekommt den Millionär, den es verdient. Bei den aktuellen Favoriten sind auch Leute dabei, die ganz offen fragen: Wer braucht eine Million Euro? Mit der Million möchten sie ein eigenes Spendenprojekt aufziehen. Auch über die Grenzen von Deutschland hinaus. Dann gibt es die klassischen Performer: Sänger, Tänzer, Schauspieler. Es gibt auch bildende Künstler. Da ist tatsächlich von allem etwas dabei. Auch sehr viel soziales Engagement. Und alle haben gecheckt, dass das größte Verkaufsargument der eigenen Geschichte tatsächlich ist, dass man sagt: Wir wollen hinterher mit dem Geld etwas Sinnvolles anfangen. Ich bin überrascht über die krasse soziale Komponente.
TVinfo: Gibt es beim Wahlverfahren der Millionärswahl nicht einen Anreiz, für wenig vielversprechende Projekte zu stimmen, wenn nur die Teilnehmer untereinander stimmberechtigt sind?
Jeannine Michaelsen: Man kann sich auch registrieren, ohne einen eigenen Beitrag zu haben, um ein Wahlrecht zu bekommen. Wir haben auch diejenigen, die mitmachen, darum gebeten, ihre Freunde einzuladen. Vielleicht hat das auch dazu beigetragen, dass das Niveau echt gut ist. Das ist doch ein schönes Signal, oder?
TVinfo: Sie haben ja eine ähnlich profunde Bühnenausbildung wie Helene Fischer. Wann hört man Sie singen oder sieht man sie bei einer Akrobatik-Einlage unter dem Hallendach?
Jeannine Michaelsen: Wenn mich einer fragt. Vielleicht machen wir ja auch einmal etwas zusammen. Das macht ja Riesen-Spaß. Ich bin auch total froh, dass Jan Böhmermann das Musical-Geschäft wiederbelebt.
Eröffnung der 1Live Krone 2013.
TVinfo: Mit Sport Xtreme haben Sie eine Sendung, in der Sie sich weder schonen noch verschweigen, wenn einmal etwas schief geht.
Jeannine Michaelsen: Ja. Weil das dazu gehört. Ich bin ein großer Freund von ungeschönter Darstellung. Jeder Sport bringt seine Risiken mit sich. Wenn man ein einigermaßen realistisches Bild innerhalb von 28 Minuten verkaufen will, dann kannst Du Dich nicht dahinstellen und sagen: Alles megageil. Aber auch nicht: Krass gefährlich - alle Irre. Man muss es schaffen zu vermitteln, warum sich Menschen einem gewissen Risiko aussetzen. Weil sie davon für sich enorm profitieren. Meine Erfahrung mit den Athleten war, dass sie ein klares Bild von ihren eigenen Fähigkeiten haben. Da leidet keiner an Selbstüberschätzung. Und einen ganz harten Drang, Dinge zu erleben - koste es dann, was es wolle.
TVinfo: Am Schluss wie immer drei Vervollständigungssätze: Wenn ich Bundeskanzlerin wäre, dann wäre meine erste Amsthandlung...
Jeannine Michaelsen: ...die Abschaffung des Betreuungsgeldes.
TVinfo: Hipster-Bashing finde ich...
Jeannine Michaelsen: ...lustig
TVinfo: Wenn es kein Smartphone gäbe, dann...
Jeannine Michaelsen: gäbe es kein Smartphone.
TVinfo: Frau Michaelsen, herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Markus Pins am 29.11.2013 in Köln.
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